Oh ehrbare einstige preußische Residenzstadt. Wie wohl ist deine Pracht doch vergangen, dein Glanz abgeplatzt, dein Ruhm nur noch Schall und Rauch. Und dennoch hast du mich verführt, angelockt mit all dem pulsierenden Leben inmitten von Grau.


Nunmehr fünf Jahre durchkreuze ich Berlin und versuche, ihr gleichzeitig aus dem Weg zu gehen. Was macht den Zauber aus? Den Reiz, der Jung und Alt in diese Stadt lockt und sie, häufig für immer, hier bindet. Oder, um es mit ehrlichen Worten zu sagen: Was macht Berlin so unerträglich?

Es ist beileibe nicht alles schlecht, aber es gibt da ein paar Punkte, die in ihrer Summe das Positive bei weitem überschatten.

Die Spielwiese für „Die pseudoindividuellen Selbstverwirklicher“ oder „Hipsterparadiese“

Zugegeben, man kann hier in der Tat tragen, was immer man mag, was bisweilen zu den eigenartigsten Auswüchsen führt. Doch ausgenommen der 3% echten Paradiesvögel tummelt sich hier vornehmlich die Fraktion der uniformierten Individualisten. Die meisten wissen, was ich damit meine. Die Mauerparkbesucher und Boxibewohner, die Bergmannstraßenanhänger und die Getreuen der Kastanienallee. Subversiv stellen sie sich selbst und ihre teuer erworbene Vintagekleidung zur Schau um damit ihre Einmaligkeit zu demonstrieren. Anders wollen sie sein als der Pöbel, Aufsehen erregen mit ihrer Exklusivität. Jedes Jahrzehnt hatte seine Rebellen und Aufrührer, die ihrem Protest gegen die Konvention Ausdruck verliehen. Und immer haben sie sich als etwas Besonderes gesehen. Natürlich gibt ihnen Berlin den Raum dafür, das hat es stets getan. Jedoch waren die vergangenen Bewegungen der rebellischen Jugend noch immer mit Substanz gefüllt, mit einem echten Wunsch nach Veränderung. Die Romantiker wollten ein Aufleben der Phantasie, weg von der Allmacht der Vernunft, die 68er wollten Frieden und eine neue Weltordnung, die Punks wollten den Sturz des Kapitalismus. Was aber will die neue Bewegung, die ihre Zuflucht in Berlin sucht? Geködert von den vorhandenen Strukturen und dem künstlerischen und kulturellen Netz setzten sie sich ins gemachte Nest. Sie unterminierten die Künstlerkreise und die Zirkel der Weltverbesserer und ersetzten Leidenschaft durch Oberflächlichkeit. Berlin bietet ihnen den Nährboden, und sie verbreiteten sich wie eine Art infektiöse Trivialität. Berlin bietet gleichzeitig Anonymität der Großstadt und die Möglichkeit, im Kiez seine synthetische Individualität mit seinen Gleichgesinnten auszuleben.

Beim nächsten Mal: Eldorado der Impertinenz