Die Frage nach dem Sinn der Existenz begegnet dem Menschen mehrmals im Leben in unterschiedlichen Entwicklungsphasen und begleitet ihn fortwährend. Die Suche danach gestaltet sich sehr unterschiedlich. Familie, Karriere und Reichtum sind die klassischen Wege seinem Leben sowohl ein Ziel als auch einen Sinn zu geben. Vielen mag dies allein allerdings zu oberflächlich sein und sie suchen nach einem tieferen, allumfassenden Sinn, bzw. einen großen Zusammenhang ihres Lebens im Bezug auf das Leben und Wirken der anderen. Oder im Bezug auf das „große Ganze“, das Universum, das Jenseits.


Die Religion bietet dem suchenden Menschen eine Antwort. In jeglicher Form. Geleitet und geführt von einer höheren Macht, fühlen wir uns schon viel sicherer in der Ungewissheit des Lebens. Die Aufgabe, die Regeln und Gebote der Religion zu befolgen und für die Erlösung und Reinkarnation zu leben und zu wirken, scheint die Frage nach dem Lebenssinn beantwortet zu haben. Die Botschaft jeglicher Religion ist, auf das Wesentliche reduziert, eindeutig. Ein höheres Wesen, welches uns erschaffen hat, übernimmt die Verantwortung für jegliches Leben. Durch den reinen Glauben an dieses Wesen und das kompromisslose Leben nach seiner Religion gelangt man in die Güte dessen und kann auf Erlösung hoffen. Doch ist es wirklich so einfach?
Die Auslegung der einzelnen Religionen ist, sowohl innerhalb der Lehre, als auch im Vergleich miteinander, sehr variabel, und kann subjektiv interpretiert werden. Allein im Islam gibt es ca. sieben große Strömungen, die jeweils ihre eigene Auffassung von den Lehren dieser Religion haben und sie auch unterschiedlich ausüben. Auch im Christentum haben sich, neben dem Katholizismus und dem Protestantismus, noch zahlreiche kleinere Strömungen gebildet, jede lebt natürlich nach dem Christentum, im Speziellen nach der Lehre der Bibel, doch die Auslegung und die daraus resultierende Lebensstruktur gestaltet sich wiederum sehr unterschiedlich. Jede Religion hat gleichzeitig den Anspruch auf alleinige Richtigkeit.
Doch woher nimmt der Einzelne die Gewissheit, dass seine Religion die Wahre ist? Geht er nach Intuition, nach Gefühl, oder entscheidet er sich für die Option, die sich für ihn am besten in das aktuelle Lebenskonzept eingliedern lässt? Ist das die Freiheit, die uns Gott, Allah, Buddha, etc. geben? Haben wir die Freiheit, uns die Religion und ihre Weisungen so zurechtzubiegen, bis sie zu uns passt? Uns die Freiheiten zu nehmen, die wir glauben zu brauchen, und uns die Regeln und Gebote herauszupicken, die wir für sinnvoll und durchführbar erachten? Ist es dann noch eine Religion, die uns den Sinn im Leben geben kann? Oder ist es nicht vielmehr eine Heuchelei, sich einen Gott, ein Wesen zurechtzubiegen, welches uns den Sinn, den wir brauchen, gibt? Denn was ist eigentlich dieser Sinn, den wir brauchen im Leben? Eine Aufgabe, ein Regelkonstrukt, der Weg, das Ziel? Alles zusammen?
Konfrontiert man sich mit diesen Fragen, so drängt sich eine ganz besonders auf. Ist ein Leben, das diese scheinbar sinngebenden Möglichkeiten, wie z.B. Religion, nicht befolgt, zwangsläufig sinnlos? Ein Leben, in dem kein großes Ziel, keine übergeordnete Aufgabe das Sein bestimmt, ein Mensch, der lebt um des Lebens willen, um der Natur, der Triebe, aber auch der eigenen Entfaltung willen, ist dieses Leben sinnlos?
Den Lebenssinn aus sich selbst zu ziehen, bedeutet in erster Linie Selbstreflexion. Diese erfordert eine absolute Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit, vor allem sich selbst gegenüber. Dadurch erlangt der Mensch eine Sicherheit, die durch und von der eigenen Person kommt. Kraft und Halt kann er aus sich selbst ziehen, denn er kennt sich und kann sich auf sich verlassen. Zwar kann auch die Religion dem Menschen diesen Halt im Leben geben, jedoch ist der Halt, der in einem selbst wurzelt, ungleich stärker, denn er ist der wahrhaftigere. Die Religion haben wir uns so zurechtgebogen, dass die Reinheit und Wahrhaftigkeit dieser, und somit auch die Stärke, die aus dem Glauben zu ziehen ist, ,erheblich geschwächt wird. Und allein die Tatsache, dass wir uns den Glauben individualisieren, zeigt, dass wir den eigentlichen Sinn in uns suchen. Innerhalb der Religion basiert diese Suche allerdings auf einem vorgegebenem Wertesystem, das die individuellen Bedürfnisse, und somit die Aufrichtigkeit zu uns selbst, einschränkt. Denn der Mensch, der durch und für sich selbst lebt, erlangt eine Form der Freiheit, die im Glauben niemals möglich ist. Er hat die Freiheit, die Dinge von allen Blickwinkeln zu betrachten, sich sein eigenes, unvoreingenommenes Bild zu machen und so für jegliche Betrachtungsweisen offen zu bleiben. Sobald man sich für eine Religion, einen Glauben, entscheidet, folgt man deren Dogma. Ein selbstbestimmtes Leben erfordert keinen Halt von außen.
Natürlich ist es anstrengender und schwieriger, die Kraft zum Leben aus sich selbst zu ziehen und zu akzeptieren, dass wir uns selbst helfen müssen und unserem Leben selbst einen Sinn geben müssen. Den Sinn durch eine Religion zu bekommen, die gleichzeitig Trost spendet und Halt gibt, ist viel einfacher und leichter. Doch der Gewinn, den wir aus der Erkenntnis der Individualität, des Menschseins in sich selbst, haben, ist vielfach größer. Der Gewinn ist Freiheit.

Artikelbild: h.koppdelaney (CC BY-ND 2.0)