Wenn ein Magazin wie das „Men's Health“ auf den männlichen Geschmack des 21. Jahrhunderts zielt, dann muss es sich schon einer besonderen Form vom Mythos des Kochens bedienen, damit ein „Pesto-Hähnchen mit Couscous und gebackenen Kirschtomaten“ seinen Platz zwischen Eiweißpulver, SUV-Panzern und der Liga der 50 besten Sexstellungen verteidigt. Die Tatsache, dass Hühnchenbrüste Seit an Seit mit traditionellen Silikonbrüsten in einschlägigen Hochglanzmagazinen Männerherzen zu beglücken versuchen, ist einer Untersuchung allemal wert.


Der Rennfahrer.
Der mythologische Wandel der Vorstellungen des Kochens ist vollzogen. Das vorgeschlagene „Gericht liefert alles was ein ordentliches Mittagessen braucht - ein super Mix aus Kohlenhydraten und Eiweiß, der Energiedepots auftankt und sie durchstarten lässt.“ Bevor der Formel 1 Koch mit seinem Boliden-Körper durchstarten kann, solle er „den Wasserkocher anwerfen“ (für den Couscous). Natürlich nur, wenn er sich nicht überfordert fühlt. Hilfestellung leistet hierfür die Bewertung des Gerichtes unter der Kategorie „Schwierigkeits-Faktor“: zwei von drei möglichen Punkten, für den „Muskelaufbau-Aufbau-Faktor“ ebenfalls zwei von drei Punkten – das motiviert den Rennfahrer, sich den erhöhten Komplexitätsgrades zu stellen und den Couscous in die Hand zu nehmen.
Das Gericht könnte sich selbst genügen. Es hat eine Geschichte als Wissen synkretischer Kultur. Sein Sinn ist Kontingent. Auf der Ebene des Mythos, als Form des Rennfahrers, verliert der Sinn seine Beliebigkeit. Der Mythos reduziert den Sinn auf ein Minimum an Fakten, die er braucht, der er sich bemächtigt. Die Vorstellung als Kraftstoff genügt. Die neu geschaffene Bedeutung des Gerichtes ist funktional angepasst an die Aussage – den Mythos.
Die Formen des Mythos sind vielfältig, die Aussage bleibt. Ob Rennfahrer, Krieger oder Künstler: Der in die Jahre gekommene Mythos, die Küche als Hort der Weiblichkeit, bekommt Konkurrenz.

Der Krieger.
Schützenhilfe bekommt der Hauskoch auch vom Berufsstand der Köche. Die „A-la-carte-Killer“ aus Gregor Webers Erfahrungsbericht „Kochen ist Krieg!: Am Herd mit deutschen Profiköchen“ werden in die TV-Arenen der Nation geschickt, um als kampferprobte Gladiatoren vor einem Massenpublikum entweder gegeneinander anzutreten oder um mit cäsarischen Gestus über Sieg und Niederlage zu entscheiden: Ave, Caesar, morituri te salutant. Wer noch immer glaubt, dass das Kochen eine ausschließlich Doppel X Chromosomen-Eigenschaft sei, erfährt auf Webers 300 Seiten wie männlich ein Butter-Plätzchen gebacken werden kann: „Kaum ein Arbeitsplatz dürfte in vergleichbaren Maße von Fäkalsprache und Aggression geprägt sein.“ Die kriegerische Terminologie in den Profiküchen, die „durchaus zum beruflichen Selbstverständnis in der Gastronomie“ passt, führt er auf die Trossküche des mittelalterlichen Heeres zurück.
Vom Kriegsschauplatz der Restaurants im 21.Jahrhundert: Der Boom der Unterhaltungsshows wie die „Küchenschlacht“ scheint Rückkopplungseffekte zu erzeugen. Zunehmend werden die Insassen der Fließen-Gefängnisse, ich selbst habe viele Jahre meines Lebens in ihnen verbracht, zu Objekten voyeuristischer Gelüste abseits der TV-Spektakel. Durch Plexiglas schauend, entgeht dem Gast keine Bewegung der Küchen-Brigade. Wenn der Wirt besonders mutig ist, verzichtet er sogar auf die schalldichte Glaswand, was von den Köchen unbekanntes Vokabular fordert. Die beliebte Gummifotze (ein Teigschaber aus Kunststoff) muss nun umbenannt werden, um nicht die Gattin des Bürgermeisters unnötig zu beunruhigen.
Wie die Gladiatoren im alten Rom bekommen die Fernsehköche Unterhaltungstrainer an die Seite gestellt. Vom Koch in den Bildern des Spectaculi, der ohne zu Rülpsen die Massen begeistert, bleibt nur die Kochjacke als verkümmertes Zeichen. Die Schlachten, Kämpfe und Duelle in den TV-Shows geben dem Kochen selbst eine Bedeutung. Es geht um Gewinner und Verlierer, um Sieg oder Niederlage. Kochen ist Wettkampf. Wem Kochen als Wettbewerb zu neoliberal, wem die Kriegskunst der „Bruderschaft“ doch etwas zu männlich, zu martialisch anmutet, und eine Affinität zum Filigranen, zum Künstlerischen hat, der wird in der Kochkunst seine Form des Mythos finden.

Der Künstler.
Für den Künstler ist das Kochen kein Kriegs-Handwerk, sondern ein Kunst-Handwerk. Essen wird nicht einfach serviert, sondern artifiziell ins rechte Licht gerückt. Das arbiträre Kochen (mal schauen was der Kühlschrank hergibt) weicht durchdachten Farb- Raum- und Geschmackskonstellationen, die Mutters Sonntagsbraten archaisch wirken lassen. In 500 Euro Kochkursen lernt der Interessierte wie die mehlschwitzende Soße zum Saucenspiegel kultiviert wird. Auf einer Kartoffel-Trüffel-Anhöhe darf sich das Kobe-Rind nun in der Kalbsjus selbst betrachten. Das neu erworbene konzeptionelle Wissen wird dann zu Hause in der offenen Designerküche der Koch-Avantgarde vor den geladenen Gästen zur Schau gestellt. Spätestens nach dem Genuss des Amuse-Gueule zu der exakt passende Lounge-Musik muss dem Gast klar werden, dass seine Sinneswahrnehmung zur Erfassung des Gesamtkunstwerkes nicht hinreichend ist. Es handelt sich hier um ein intelligibles Phänomen. Der Abend mit Freunden kulminiert in molekularer Dissoziation brandenburgischer Steckrüben. Der zurückbleibende rot-samtige Duft darf nun bestaunt werden, um anschließend ausgiebig die Verwandlung der Rübe zu erörtern. In Ausnahmefällen wird auch mal nur für die eigene Gattin, also in Abwesenheit der Feinschmecker, gekocht oder besser geschafft. Denn in jedem Fall gilt, dass das vollbrachte Werk Ergebnis eigenen Schaffens ist. Die Schöpfung: Von der Natur zur Kultur, von den Natur-Produkten zum Kultur- Gericht, ein wahrhaft männlicher Vorgang.

Die verschiedenen Formen des Mythos bedienen sich ihrer jeweiligen Verfügungsmasse, die sinnentleert, auf das funktional Notwendige reduziert, in ihrer ursprünglichen Fülle im Mythos verblasst. Die Verknüpfung von Form und Begriff, die sich nur an eine spezifische Gruppe von Zeichenlesern richtet, macht den Mythos erst erkenntlich. Der immer gleiche Begriff, das männliche Kochen, ist Motiv und Antrieb des Mythos.



Artikelbild: Michail Jungierek ( CC BY-SA 3.0 )