Die Wälder waren einst voller Magie. Natürlich nicht einfach so. Die Magie wurde gebracht von den unvergleichlichen Wesen, die die Wälder der vergangenen Zeiten bewohnten. Woher ich das weiß? Meine Großmutter erzählte es mir. Und ihre Großmutter erzählte es meiner Großmutter und immer so weiter. Die Frauen unsere Familie waren schon immer Geschichtenerzähler, weil sie eben was ganz besonderes sind.


Das Besondere an uns ist, dass wir die Magie sehen können. Und auch all die verschiedenen Wesen, in denen sie wohnt. Das kann ziemlich schwierig sein. Es gibt natürlich all die schönen Elfen und Feen, die so häufig in den Märchen vorkommen. Auch Einhörner, Dryaden und Jungfern. Aber es gibt auch die dunklen Wesen. Trolle, Gnome und Erdzwerge. Hexen, dunkle Magier und Drachen. Vor jenen kann man sich wirklich mitunter fürchten. So liebreizend und rein die Einen sind, so unberechenbar und böse sind die Anderen. Aber ich will euch heute von etwas Schönem berichten. Es ist auch traurig. Vielleicht kann man auch schön traurig sagen oder eher traurig schön? Wenn man tief in unseren Wald geht, sehr tief meine ich, dann kommt man alsbald an eine warme Lichtung. Auf ihrer Mitte wächst einer der schönsten Bäume, den je ein sterbliches Auge sehen durfte. Sein Stamm ist von geradem Wuchs, geradezu schlank und seine Rinde glänzend. Sein Geäst formt eine fast perfekte Kugel, so, als dächte man, ein Mensch hätte sie so zurechtgeschnitten. Seine Blätter glänzen in einem hellen, leuchtenden Grün, manche aber auch in einem zarten Rotton. Der Baum ist nicht groß, gerade mal so hoch wie euer Vater. Und manchmal scheint es so, als sähe man ein Gesicht, welches traurig aus dem Baum hinausschaut. Als ich an diesen Baum hinan trat, so war mir, als würde ich ein kleines magisches Leuchten sehen. Zu wenig für ein Geschöpf, nur eben eine Winzigkeit, vielleicht aus vergangener Zeit. Also legte ich mich eines Tages an seinen Stamm und wartete. Ich wusste auf einmal, dass hier einmal ein magisches Geschöpf lebte. Aber es zeigte sich nicht. Ich wartete wirklich lange, bis mich der Schlaf übermannte. Und dann zeigte sie sich. Eine Elfe. In meinen Träumen. Sie war einfach wunderschön. Ihr silbernes Haar lag lang über ihrer weißen Haut, streichelte ihren Rücken und fiel hinab, bis die Spitzen ihre Hüften berührten. Ihr Kleid war für einen Sommertag wie diesen in meinem Traum genau das richtige. Es bedeckte kaum ihre Schultern und schmiegte sich eng an ihren Körper, bevor es bis auf den Boden fiel. Und es schien aus Sonnenstrahlen gesponnen zu sein, so glitzerte es im Licht. Da stand sie auf dieser Lichtung, aber der Baum war fort. Ich war überwältigt, als mich dieses Wesen anlächelte. Ich brachte keinen Ton hervor. Und dann sah ich, dass dieses Lächeln gar nicht mir bestimmt war. Ein junger Mann trat auf die Lichtung. Ihm galt ihre Aufmerksamkeit. Dieser Jüngling war wirklich schön aber unverkennbar ein Mensch. Hoch aufgewachsen war er, mit blondem kurzem Haar und einer schlanken aber muskulösen Statur. Und auch wenn ihm die ätherische Aura eines Elfen fehlte, so war das magische Wesen doch unverkennbar in ihn verliebt. Ich musste lächeln. Auch bei diesen Erhabenen war Liebe doch das einzig wahre Gefühl, was zählt. Der junge Mann kam auf sie zu, bezaubert von ihrer Schönheit. Er kniete vor, nahm ihre Hand und hauchte einen Kuss auf ihre zarte Haut. Glückseligkeit stieg von diesem Paar auf als würde die Luft wie von einem Parfum geschwängert werden. Es war ein perfektes Bild. Der Moment verging, wie jeder perfekte Moment es tut. Der Jüngling stand auf und eine Leidenschaft brannte in ihm, die gestillt werden wollte. Er näherte sich ihr vorsichtig, als wolle er sie nicht verlieren, falls sie doch nur ein Traumbild war. Er berührte ihre nackten Schultern, strich ihr Haar zurück. Ganz zärtlich zeichnete er die Konturen ihres Halses mit seinen Fingerspitzen nach. Die junge Elfe schloss die Augen und genoss die Zärtlichkeit, die er ihr gab. Er küsste sie. Lange dauerte dieser erste Kuss. Zuerst ganz zart und zurückhaltend, wurde er aber bald schon leidenschaftlich und fordernd. Und bald waren sie in ein Liebesspiel vertieft, welches wie ein Traum anmutete. Und es war als würde es nie zu Ende gehen. Aber irgendwann verging es. Sie schliefen einander umschlingend ein. Und schon bald brach der nächste Morgen an. Beide erwachten, und endlich war es an der Zeit, zu reden. Der Jüngling war ein Prinz und wollte die Wunderschöne mit an seinen Hof nehmen und sie zu seiner Frau machen. Nun liegt es im Gemüt der Elfen, sich den Wäldern näher zu fühlen als Behausungen aus Stein. Ihr sehnlichster Wunsch war es, seine Frau zu werden und hier mit ihm zu leben. Aber er war ein Prinz und kein einfacher Bauer oder Handwerker. Er hatte eine Verantwortung zu tragen, die er niemanden aufbürden wollte. Also beschloss sie, ihn zu begleiten. Ihre Liebe war vom ersten Moment so groß, dass sie nicht dagegen angehen konnte. Doch als sie Ihre Lichtung verließ, so wurde die Lichtung irgendwie grau. Die Blumen waren nicht mehr so leuchtend wie zuvor und ließen die Köpfe hängen. Auch das Gras und die Blätter der Bäume schienen ihren Glanz verloren zu haben. Selbst dem Prinzen schien das aufzufallen, denn er stockte, als er sah, was passierte. Sie blickten sich an voller Traurigkeit. Die Elfe nahm den Glanz mit, wo immer sie auch hinging. Und mit ihr ging die Unsterblichkeit. So konnte auch der Sommer in diesem Teil nicht mehr ewig währen, wenn sie denn entschwand. Tränen bahnten sich still einen Weg über ihre Wangen, und eine jede sah aus wie ein kleines Juwel. Sie gingen noch ein paar Schritte, und die Elfe war bereit, für ihren Prinzen alles hinter sich zu lassen. Ihren geliebten Wald dem Sterben zu überlassen. Auch wenn sie nun ein Träne für jeden sterbenden Freund vergoss, den sie hinter sich ließ, denn auch die Blumen und Bäume sind die Freunde der Elfen. Dem Jüngling zerriss es das Herz. Er konnte seine Liebste nicht aus ihrem Wald entführen. Und so gab es nur eine Sache noch für ihn zu tun. Er verabschiedete sich von ihr und wollte noch einmal nach Hause gehen und seine Angelegenheiten regeln, so dass ein anderer statt ihm nach seinem Vater König würde. Sie sah die Liebe in seinen Augen und auch die Bereitschaft, für sie sein altes Leben zu verlassen. Und auch wenn sie traurig war, weil er sie für den Moment verließ, so keimte doch Hoffnung in ihrem Herzen, dass er zurückkehrte. Denn es gibt einen Fluch, der all diejenigen trifft, die nicht die Gabe haben, Magie zu sehen. Wenn sich ihnen ein magisches Wesen zu erkennen gibt, so vergessen sie ein jedes Erlebnis mit ihm. Sie wusste es und doch war es ihr nicht möglich, ihren Wald zu verlassen. Aber seine Liebe und Beharrlichkeit machten ihr Hoffnung. Und ihr Prinz ging, um seinen Vater das letzte Mal zu sehen, und sie wartete, auf dass er sich hoffentlich an sie erinnern würde. Aber meine Lieben der Fluch trifft nun mal jeden. Und damit das Gleichgewicht gewahrt bleibt, traf der Fluch auch den Prinzen. Die Elfe wartete. Jahrelang. Sie wagte es nicht davon zu gehen, aus Angst, nicht da zu sein, falls er sich doch erinnern würde. Und eines Tages kamen wirklich Menschen auf ihre Lichtung. Sie verbarg sich, weil es vier von den Ungestümen waren, die sie besuchten. Ein Mann mit kurzem, blondem Haar, in das sich das erste Silber stahl, mit einer Frau, die zwar schön, aber auch nicht mehr jung war, und zwei bildhübschen Kindern. Einem Mädchen und einem Jungem. Die Elfe erkannte ihn sofort. Ihr Prinz war zurückgekehrt. Mit seiner Frau, die er im Arm hielt, und seinen Kindern, die er beim Spielen beobachtete. Und da brach der Elfe das Herz. Sie weinte still und leis. Die Familie wurde von der Lichtung angezogen wie die Motten vom Licht. Alles war hier so herrlich und verströmte seinen eigenen Frieden. Dem Prinzen, der jetzt König war, übermannte ein Gefühl der Bekanntheit, das so stark war, dass er sich losmachte und allein auf die Lichtung taumelte. Er wusste, irgendwas war hier einst geschehen, und er wusste, es war unheimlich wichtig gewesen. Aber so sehr er sich auch anstrengte, er konnte sich nicht daran erinnern. Seine Frau, die ihn anscheinend sehr liebte, zog ihn ein wenig auf. Wie hätte sie auch ahnen können, dass einst seine wahre Liebe hier ihren Anfang nahm. Die Elfe hätte sich ihm ein zweites Mal zeigen können und er hätte sich erinnert. Aber sollte sie wirklich sein bekanntes Leben für einen so egoistischen Wunsch zerstören? Und was wäre aus seiner Frau und seinen beiden Kindern geworden? Oder seinem Königreich? Sie konnte es nicht. Also wartete sie, bis sie allein war. Sie trat hinaus aus den Schatten der Lichtung und setzte sich in der Mitte zu Boden. Ihr Herz blutete, auch wenn sie wusste dass es geschehen würde und ihr Prinz sie vergaß. Und sie weinte ein ganzes Jahr lang. Elfen sind unsterbliche Wesen, aber diese Eine wollte nicht mehr leben. Sie sah mich an in meinem Traum und ihre Lippen formten die Worte „Was soll ich bloß tun, damit es nicht mehr so weh tut?“ Ich sagte ihr die einzige Wahrheit die ich kenne. Es wird immer weh tun. Sie nickte. Sie wollte nicht mehr in dieser Einsamkeit sein. Wollte nichts mehr fühlen. Also zog sie sich zurück und vergaß, wer sie war. Wo sie war. Was sie war. Und ganz langsam wurde sie zu diesem Baum in der Mitte der Lichtung. Wunderschön und doch auch in dieser Gestalt einsam und allein stehend. Die Ehrfurcht und Traurigkeit, die einen erfasst, wenn man ihn erblickt, sprengt einem das Herz. Aber eine Frage bleibt noch zu klären. Wer ist nun in Wirklichkeit verflucht? Der Mensch der vergaß und ein neues Leben bekam oder die Elfe, die nicht vergessen konnte und Zuflucht suchte in einer anderen Gestalt? Ich weiß es nicht …