Die wenigsten Dinge beginnen ihr Leben ja so, wie sie irgendwann einmal enden: als Müll.


Aber gerade bei Transport- und Schutzbehältnissen ist eher früher als später der Moment gekommen, in dem sie ihre Nützlichkeit eingebüßt haben und gemeinhin als Müll gelten. Abfall. Unrat. Doch genau in diesem Moment machen sie für nicht wenige Zeitgenossen eine erstaunliche Transformation durch: Von einem Gegenstand, den man eben noch voller Freude durch die Welt trug, vielleicht sogar schon stunden- oder tagelang, verwandeln sie sich schnurstracks in etwas, das man so schnell wie möglich loswerden möchte, mit dem man sich am liebsten nicht eine Sekunde länger abgeben würde.

Vollzieht sich diese Metamorphose im Freien, geschieht dieses Sich-des-Gegenstandes-entledigen nur allzu oft dadurch, dass er einfach weggeworfen wird, fallengelassen oder abgestellt, und nicht etwa noch bis zum nächsten Mülleimer getragen. Zigarettenstummel, die dem Bürgersteig vor Bushaltestellen eine teppichartige Oberfläche verleihen, obwohl am Haltemast ein Mülleimer samt Aschenbecher hängt: Bloß weg mit ihnen, nein, auch, wenn der Mülleimer nur einen Schritt entfernt ist, so ist dies immer noch zwei Schritte zu viel, und außerdem gefällt es den Kippen unter der Sonne sicherlich viel besser als in so einem finsteren Abfalleimer. Pappbecher für Mitnehmgetränke können keinen Moment länger mehr in der Hand gehalten werden, sobald sie leergetrunken sind, denn wieso sollte man denn einen leeren Becher mit sich herum tragen, der noch dazu – igitt – einen winzigen Rest Kaffee als Bodensatz beinhaltet. Leergetrunkene Flaschen, ausgekaute Kaugummis, Folien, die eben noch eine kostbare Zigarettenschachtel geschützt haben: Hinfort damit, wir wollen ja keinen Müll mit uns herumtragen.

Im Sommer treten derartige Hinterlassenschaften in Parks dann auch gerne in größeren Rudeln auf, wenn es sich um Rückstände eines gemütlichen Grillnachmittages handelt, die bergeweise die Grünanlagen zieren. Nein, Herr Ordnungsamtsmitarbeiter, die Mülltonnen waren leider viel zu weit weg für uns, und ohnehin sind sie ja meistens voll bis zum Stehkragen. Was, wir könnten unseren Müll auch wieder mit nach Hause nehmen, schließlich haben wir die Verpackungen ja auch hergetragen? Wie meinen Sie das? Es ist doch Müll? Verstehen Sie nicht, MÜLL? Wie sollten wir diesen denn wieder mitnehmen, und uns am nächsten Tag noch im Spiegel ansehen können?!

Aber auch zuhause scheint es oft keinen sehnlicheren Wunsch zu geben, als Verpackungen mit dem einen oder anderen Essensrest so schnell wie möglich aus der Wohnung zu verbannen; freilich nicht immer dadurch, dass man sie zur Mülltonne bringt, sondern zunächst, indem eine leere Pizzaschachtel vom Lieferservice erst mal vor die Wohnungstür gestellt wird, auf dass sie das traute Heim nicht mit ihrem infernalischen Duft entweihe, leergetrunkene Weinflaschen und ein gut gefüllter Müllbeutel für die gelbe Tonne gleich noch danebengestellt.

Doch selbst, wenn es der bedauernswerte Besitzer einiger gut gefüllter Mülltüten dann tatsächlich geschafft hat, diese zu den Mülltonnen zu tragen, scheint die richtige Entsorgung dieses quälenden Zwangs-Besitzes nichts zu sein, mit dem man sich auch nur eine Sekunde länger als nötig aufhalten möchte. Wie sonst wäre es zu erklären, dass Biotonnen stets voll sind mit in Plastikmülltüten verpackten Essensresten, denn es würde ja bestimmt zehn Sekunden dauern, den Kunststoffbeutel in die Tonne zu entleeren und dann in die gelbe Tone zu werfen. In dieser finden sich dann auch gleich zahlreiche Pappkartons, wohl nicht zuletzt deswegen, weil die Papiermülltonne mal wieder von nur zwei Amazon-Kartons zu Bersten gefüllt ist, deren ehemaliger Besitzer natürlich nicht die Zumutung auf sich nehmen konnte, die Schachteln plattzudrücken, sondern sie in Gänze in die Tonne warf; worauf er augenscheinlich auch noch stolz wie Bolle ist, warum sollte er sie sonst so platziert haben, dass einem beim Öffnen der Tonne das Adressetikett mit seinem Namen anspringt?

Was uns schließlich zu der Frage bringt, ob dieses öffentliche Zelebrieren der eigenen Faulheit und Bequemlichkeit tatsächlich nur mit einem impliziten Gruß an die Allgemeinheit verbunden ist, dass einem die Mitmenschen und die Öffentlichkeit herzlich egal sind, solange man selbst sich nur so wenig wie irgend möglich mit dem von einem selbst dazu gemachten Müll befassen muss. Oder ob es nicht irgendwann Mode wird, an jedem Zigarettenstummel, jedem Getränkebecher, jedem Kaugummi ein kleines Schild anzubringen, das allen anderen mitteilt, wer mit genau dieser Hinterlassenschaft seine Individualität demonstriert hat, wie es momentan ja leider nur bei an einen adressierten Paketen der Fall ist.



Artikelbild: Antranias (CC0 1.0)